14. Apr. 2021
Angesichts der vor allem durch das Allzeithoch auf dem europäischen Kohlenstoffmarkt steigenden Preise auf den Energiemärkten, werden die Energiegesamtkosten in den nächsten Jahren weiter anziehen. Auch der Gesetzgeber trägt sein Scherflein zu den Kostensteigerungen bei, zum Beispiel durch die Einführung des nationalen Energiehandelssystems (nEHS) mitten in der Corona-Krise, das insbesondere die Erdgasgesamtkosten erhöht. Durch das Brennstoffemissionshandelsgesetz (BEHG) soll der CO2-Ausstoß auch über den europäischen Emissionshandel hinaus einen Preis bekommen und dadurch vermindert werden – ein Ziel, das unbestritten richtig ist und unbedingt erreicht werden muss.
Nationaler Emissionshandel in vielen Branchen ohne Steuerungswirkung.
Das neu geschaffene Anreizsystem kann in vielen Branchen jedoch keine Wirkung entfalten, da Alternativverfahren entweder nicht zu Verfügung stehen oder nicht zu finanzieren sind. In diesen Fällen wird kein anderes Verhalten angeregt, sondern nur die Wettbewerbsfähigkeit gefährdet. Umso wichtiger sind für die betroffenen Unternehmen Entlastungen vom neuen CO2-Preis durch die jüngst beschlossene und das BEHG präzisierende Carbon-Leakage-Rechtsverordnung (BECV), auf die sich die beteiligten Ministerien erst nach monatelanger Diskussion einigen konnten, obwohl der nationale CO2-Preis bereits im Januar eingeführt worden ist.
Beim Schutz der Branchen fehlt weiterhin die nationale Perspektive.
Die Entlastungsregeln sollen zum Erhalt der inner- und außereuropäischen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie beitragen. Mehr als ein „Schönheitsfehler“: Das Beihilfewerk gilt erst einmal nur für Unternehmen, die auf der Carbon-Leakage-Liste des europäischen (!) Emissionshandels (EU-EHS) stehen. Für alle anderen hiesigen Unternehmen, die gleichwohl im innereuropäischen Wettbewerb bestehen müssen, gilt: Pech gehabt. Trotz entsprechender Hinweise von Experten und Wirtschaftsverbänden (darunter auch enplify) hat die Bundesregierung den Kreis der potenziell Beihilfeberechtigten leider nicht mehr von Beginn an erweitert. Dieses Vorgehen wird in Regierungskreisen damit begründet, dass so die Wahrscheinlichkeit einer Zustimmung zur genehmigungspflichtigen Beihilfe durch die EU-Kommission erhöht wird.
Aufnahme weiterer Sektoren: Jetzt kommt es auf die Wirtschaftsverbände an.
Die Verordnung beinhaltet die Option, bislang nicht berücksichtigte Sektoren, also Sektoren außerhalb der Carbon-Leakage-Liste des EU-EHS, per Antrag auf die BECV-Liste aufzunehmen. Für die Aufnahme hatte das BMU im Referentenentwurf sehr hohe Hürden errichtet. In der Kabinettsfassung hat es an dieser Stelle Besserungen gegeben, denn nun fließt die innereuropäische Handelsintensität nicht mehr nur anteilig in die Berechnung ein. Antragsberechtigt sind ausschließlich die in den jeweiligen Branchen dominanten Wirtschaftsverbände: Auf ihren Einsatz kommt es jetzt an, damit die nationale Carbon-Leakage-Liste und damit der Kreis der Berechtigten um möglichst viele weitere Sektoren erweitert werden kann.
Kompensationen nicht zur freien Verfügung – und unter Haushaltsvorbehalt.
Die potenziellen Kompensationszahlungen stehen den Unternehmen nicht zur freien Verfügung, sondern sind an eine Vielzahl von Gegenleistungen und Nachweisen geknüpft, die ab 2023 zu erbringen sind. So müssen in den Jahren 2023 und 2024 mindesten 50% und ab dem Antragsjahr 2025 80% des Beihilfebetrages in sogenannte wirtschaftlich durchführbare Klimaschutzmaßnahmen reinvestiert werden. Weiterhin steht die Gewährung der Beihilfe unter dem Vorbehalt der verfügbarbaren Mittel im Bundeshaushalt – was angesichts des hohen Aufwands, den Antragsteller betreiben müssen, eine Farce ist.
Verrechnung mit dem Zuschuss zum EEG-Konto entfällt.
Zum Schluss noch eine gute Nachricht: Durch eine grundlegende Änderung erweitert die BECV in der Fassung des Kabinettsbeschlusses den Kreis der potenziellen Antragsberechtigter. Die stark kritisierte Verrechnung der Carbon-Leakage-Kompensation mit den zur Reduzierung der EEG-Umlage eingesetzten BEHG-Einnahmen, die durch das vor allem Corona-bedingte Milliardendefizit auf dem EEG-Konto de facto kaum bis gar nicht bei den Unternehmen ankommt, entfällt ersatzlos. Damit ist ein grundsätzliches vielfaches „Übertreffen“ der Strombezugsmenge durch die Erdgasmenge nicht mehr notwendig, um zumindest rechnerisch eine Entlastung zu erhalten. Nach dem ursprünglich vorgesehenen Mechanismus hätten nur Unternehmen eine Beihilfe erhalten können, deren Erdgasverbrauch dreimal so hoch ausfällt wie ihr Strombezug – eine in der Praxis eher selten anzutreffende Konstellation.
Fazit: Kreis der Antragsberechtigten größer als ursprünglich befürchtet.
Unser Fazit: Die Bundesregierung hat den immer noch (unnötig) komplizierten Beihilfemechanismus auf den letzten Metern industriefreundlicher gestaltet. Der Kreis der Antragsberechtigten sollte deutlich größer als ursprünglich befürchtet ausfallen. Trotzdem bleiben Kernelemente der Carbon-Leakage-Verordnung industrieunfreundlich, wie insbesondere die Beschränkung der Beihilfeberechtigung auf die Carbon-Leakage-Sektoren des EU-EHS, aber auch die Verknüpfung der Beihilfe mit Investitionen und der hohe bürokratische Aufwand. In der Gesamtbetrachtung dürfte die BECV für den zu kleinen Kreis der antragsberechtigten Unternehmen für wichtige Entlastungen sorgen. Durch den kontinuierlich steigenden Festpreis im nationalen Emissionshandel wird auch die Beihilfehöhe sukzessive ansteigen. Ob der entstehende Aufwand bereits zu Beginn der Regelungen in einem gesunden Verhältnis zu einer möglichen Kompensation steht, kann nur individuell beantwortet werden.