Der grüne Helmut Schmidt: Habeck sollte Realpolitiker bleiben.
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EnSiG-Novelle schafft Preisanpassungsrecht für Versorger in Gasmangellage.
Mit dem novellierten Energiesicherungsgesetz (EnSiG), das am 22. Mai in Kraft getreten ist, hat der Bundestag ein gesetzliches Preisanpassungsrecht für Energieversorger im Fall verminderter Gasimportmengen geschaffen. Durch das Sonderpreisanpassungsrecht können Gaslieferanten in bestimmten Konstellationen zeitweise von Preisfixierungen zurücktreten und stattdessen den Verbrauchern die Kosten der Ersatzbeschaffung in Rechnung stellen. Das Preisanpassungsrecht kann noch nicht in der aktuell gültigen Frühwarnstufe (1. Krisenstufe) angewendet werden, über deren Ausrufung am 30. März wir mehrfach und ausführlich berichtet haben. Erst müsste die Alarmstufe (2. Krisenstufe) oder die Notfallstufe (3. Krisenstufe) ausgerufen und die Feststellung einer Gasmangellage durch die Bundesnetzagentur (BNetzA) festgestellt werden.
Hintergrund des auch in der Branche stark umstrittenen neuen § 24 EnSiG sind mögliche Marktverwerfungen bei einem möglichen Embargo/Lieferstopp von Russland-Gas, was Energieversorgungsunternehmen in besonderem Maße treffen würde. Insbesondere stellt sich die Frage, ob und inwieweit sie sich bei einer Beschränkung russischer Gaslieferungen auf höhere Gewalt („Force Majeure“) berufen können und welche weiteren vertragsrechtlichen und gesetzlichen Handlungsoptionen bestehen, um auf die veränderten Rahmenbedingungen reagieren zu können.
Mit § 24 EnSiG hat der Gesetzgeber ein gesetzliches (Sonder-)Preisanpassungsrecht geschaffen. Der neue Paragraph soll im Fall erheblicher Reduzierung der Gasimportmengen nach Deutschland kaskadenartige Auswirkungen auf den gesamten Markt verhindern und die betroffenen Energieversorgungsunternehmen vor einer finanziellen Schieflage bewahren. Ob mit dem (Sonder-)Preisanpassungsrecht aber tatsächlich in jedem Einzelfall eine finanzielle Überforderung der betroffenen Lieferanten verhindert werden kann, darf durchaus bezweifelt werden. Insbesondere in Fällen von Portfoliobeschaffungen und längerfristigen Verträgen dürfte es zahlreichen Energieversorgungsunternehmen insbesondere bei länger anhaltenden Importausfällen schwerfallen, die richtige Entscheidung hinsichtlich der Wahl zwischen vertraglichen Preisanpassungs- und gesetzlichem Notfallanpassungsregime zu treffen, da eine Kombination beider Preisanpassungsmechanismen vom Gesetzgeber ausgeschlossen wurde. So sieht es jedenfalls der Branchenverband BDEW (Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft) – die Versorger haben offenkundig selber Zweifel an der Wirksamkeit des neu kreierten Instruments.
Die vielen unbestimmten Rechtsbegriffe in § 24 EnSiG werfen zahlreiche Detailfragen auf. Zunächst stellt sich die Frage, wer das gesetzliche Sonderpreisanpassungsrecht überhaupt einsetzen kann. Unstreitig ist wohl, dass Gaslieferanten und Vorlieferanten ein solches Recht ausüben dürften. Umstritten ist bereits, ob das auch für Händler und die Energiebörse (EEX) gilt. Bei Handelsunternehmen wird unter Juristen diskutiert, ob Handelsverträge, insbesondere sogenante EFET-Verträge, vom § 24 EnSiG erfasst werden. Zumindest bei direkten Börsengeschäften ist es wohl Mehrheitsmeinung, dass bei einer Abwicklung über die EEX (Clearing House) § 24 EnSiG nicht einschlägig ist.
Das Risiko von Lieferunterbrechungen zwingt die Lieferanten dem Vernehmen nach zu einer intensiven Analyse ihrer Vertragsportfolios im Hinblick auf Regelungen zu Gasmangellagen, Risikobegrenzungsklauseln, Laufzeiten etc. und mit Differenzierung nach einzelnen Kundengruppen oder -segmenten (Privatkunden, Gewerbe- und Industriekunden sowie Weiterverteilern). Die Vertragsanalyse wird das gesamte Vertragsportfolio erfassen, d.h. Absatzverträge ebenso wie Beschaffungsverträge.
Was kann das energieintensive Unternehmen bedeuten? Nun, im Worst Case kann der Lieferant über § 24 EnSiG temporär gültige Preisfixierungen „lösen“ und stattdessen die Kosten der Ersatzbeschaffung in Rechnung stellen. Angenommen ein Unternehmen zahlt in diesem Jahr 20 €/MWh für Gas, könnte der Lieferant für den Zeitraum der Gasmangellage ein Sonderpreisanpassungsrecht geltend machen und stattdessen den Betrag abrechnen, der ihn die die alternative Beschaffung kostet. Angenommen der Vorlieferant Ihres Gaslieferanten bezieht Gas aus Russland und kann nicht mehr liefern, müsste Ihr Lieferant zu den dann gültigen Spotmarktpreisen ersatzweise Gas beschaffen. Da niemand die Spotpreise in einer Gasmangellage vorhersagen kann, diese aber deutlich über den aktuellen Preisen liegen werden, kann es sein, dass industrielle, gewerbliche und private Verbraucher 200 oder 400 €/MWh statt 20 €/MWh zahlen müssen. Zwar hätte der Letztverbraucher dann ein Sonderkündigungsrecht, doch auch bei einem anderen Anbieter würde er in einer solchen Krisensituation kaum günstiger Gas beschaffen können. Es ließen sich noch viele weitere Konstellationen bilden, die weitere Probleme nach sich zögen – für das Grundverständnis der Problematik sollten die Überlegungen jedoch bereits ausreichen.
Die EnSiG-Novelle wurde im Übrigen wieder einmal im Eiltempo durch das Parlament gepeitscht, wobei man dem Gesetzgeber zu Gute halten kann, dass die Zeit wirklich drängt. Die Formulierungshilfe wurde am 12.04.2022, der Gesetzentwurf zur EnSiG-Novellierung am 24.04.22 veröffentlicht, inklusive Änderungen am EnWG und GasSV. In einem maximal verkürzten Gesetzgebungsverfahren fand die 1. Lesung im Bundestag am 29.04. statt, die 2. und 3. Lesung am 12.05. Die Zustimmung des Bundesrates erfolgte am 20.05.; am 22.05. trat die EnSiG-Novelle in Kraft.
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