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Energiepolitik

Tagesspiegel berichtet über Unzufriedenheit mit Preisbremsen. Mit enplify-Zitaten.

24. Feb. 2023

Industrievertreter bemängeln, dass die von der Bundesregierung kommunizierten Preisdeckel bei Gas und Strom in der Praxis nicht die versprochene Wirkung entfalten werden. Gerade die großen Unternehmen würden für Gas und Strom deutlich mehr zahlen. Hinzu kommen komplizierte Auflagen.

Dieser Text ist im Original im Tagesspiegel Background Energie & Klima erschienen (Link zum Artikel, hinter der Paywall). ­

Industriekunden sollen für 70 Prozent ihres Gasverbrauchs nur sieben Cent je Kilowattstunde zahlen, bei Strom 13 Cent – so hatte es die Ampel Ende vergangenen Jahres kommuniziert und bei der Industrie damit große Hoffnungen geweckt. Doch nun zeigt sich laut Branchenkennern, dass zahlreiche Unternehmen nicht in den Genuss der Preisbremsen kommen werden. „Gerade mittelgroße und große Unternehmen zahlen aufgrund von sehr strikten Beihilfekriterien, die sie oft nicht erfüllen können, deutlich mehr für Gas und Strom“, sagte Dennis Becher, Geschäftsführer des Energieberatungsunternehmen enplify.

Da sei beispielsweise das mittelgroße Stahlunternehmen, das rein rechnerisch einen Anspruch auf eine Entlastung in Höhe von 100 Millionen habe, diese in der Praxis im Unternehmensverbund jedoch bei vier Millionen Euro gedeckelt werde. Runtergerechnet auf die Kilowattstunde zahle das Stahlunternehmen dann nicht mehr nur die von der Ampel angekündigten sieben Cent für 70 Prozent des subventionierten Gasverbrauchs, sondern das Dreifache, wie Becher sagte.

Strenges EBITDA-Kriterium für hohe Entlastung

Um in den Genuss der Beihilfehöchstgrenze von mehr als vier Millionen Euro zu kommen, muss ein Unternehmen nachweisen, dass es in einem Zeitraum zwischen Februar 2022 und Dezember 2023 einen EBITDA-Rückgang (Betriebsergebnis vor Abzug der Zinsen, Steuern, Abschreibungen) in Höhe von mindestens 30 beziehungsweise 40 Prozent erlitten hat.

Laut Becher ist das Kriterium jedoch weltfremd: „Der geforderte EBITDA-Rückgang fällt zu drastisch aus. Und das Jahr 2021 ist vor allem durch die Covid-Pandemie als Referenzjahr vollkommen ungeeignet. Diesen Konstruktionsfehler müsste die Regierung gemeinsam mit der Europäischen Kommission dringend beheben.“

Dass zuletzt die Preise für Gas am Spotmarkt deutlich gefallen sind, davon profitieren die Unternehmen laut Becher nicht per se. „Das hängt immer von der individuellen Beschaffungsstrategie ab.“ Einige Unternehmen, die größtenteils oder zu 100 Prozent über den Spotmarkt beschaffen würden, hätten angesichts des Preisrückgangs die berechtigte Hoffnung, dass sie Preisbremsen gar nicht brauchen. „Andere Unternehmen, die im letzten Jahr ihre Preise fixiert haben, brauchen die Zuschüsse immer noch dringend und werden über die verschiedenen Höchstgrenzen zu stark limitiert“, sagte Becher.

Keine Opt-Out-Regel bis 25 Millionen Euro Entlastung

Auch die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) meldet auf Background-Anfrage zurück, dass gerade die großen Unternehmen nicht in dem von der Bundesregierung kommunizierten Umfang von den Preisbremsen profitieren würden. Im Gegenteil: Von den Unternehmen mit einem Beihilfebetrag über zwei Millionen Euro würden viele derzeit sehr ernsthaft überlegen, wie sie auf die Preisbremsen verzichten können, sagte DIHK-Energieexperte Sebastian Bolay. „Das rührt daher, dass die Auflagen von Standorterhalt bis Boniverzicht kompliziert und die Unsicherheit über den tatsächlichen Beihilfebetrag aufgrund der EBITDA-Vergleiche sehr groß sind.“

Kurioserweise sehen die Preisgesetze für Unternehmen ab einer Entlastungssumme zwischen zwei und 25 Millionen Euro keine sogenannte „Opt-Out-Regel“ vor – diese Unternehmen können also nicht selbst entscheiden, ob sie die Preisbremsen in Anspruch nehmen und dann auch keine Standortbedingungen wie die Erhaltung von Arbeitsplätzen erfüllen müssen. Ihnen bleibt theoretisch die Möglichkeit, sich bis zu einer gesetzlichen Frist Ende März einfach nicht bei ihrem Energielieferanten zu melden – in der Branche wird dies als „indirektes Opt-Out“ bezeichnet. Dann würde die Entlastung für diese Unternehmen automatisch auf 150.000 Euro gedeckelt. Doch wenn Unternehmen mehrere Energielieferanten haben, birgt das indirekte Opt-Out automatisch das Risiko, als Unternehmen doch wieder in höhere Größenordnungen bei den Entlastungen zu rutschen und entsprechende Auflagen erfüllen zu müssen.

Viele offene Fragen bei Unternehmen.

Zudem melden zahlreiche Unternehmer der DIHK zurück, dass sich viele Praxisfragen nicht mit den Gesetzestexten der Gas- und Strompreisbremse beantworten ließen. Bolay nennt ein Beispiel. „So ist unklar, wer ein Unternehmen in die Berechnung seiner Höchstgrenzen einbeziehen muss, wenn dieses zu gleichen Teilen als Joint Venture einem anderen Betrieb gehört.“ Auch sei nach wie vor ungeklärt, ob und wie Corona-Hilfen anzurechnen seien. „Hier sollte die Bundesregierung mit der angekündigten Reparaturnovelle die Gesetze nachschärfen und eine Opt-out-Regelung einführen“, forderte Bolay im Gespräch mit Background. Der Unmut bei den betroffenen Firmen sei jedenfalls groß.

Für Unverständnis bei Industrievertretern sorgt derzeit zudem eine Verordnung, die das Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) spätestens bis zum 15. März vorzulegen plant. Mit der sogenannten „Differenzanpassungsverordnung“ soll für Unternehmenskunden ab einer beihilferelevanten Entlastungssumme (zwei Millionen Euro) eine maximale Höhe des Entlastungsbetrags bestimmt werden – was laut Branchenkennern in der Praxis zu einer weiteren Deckelung des Entlastungsbetrags führen könnte. Laut BMWK wird mit der Verordnung aber „beihilferechtlichen Vorgaben Rechnung getragen“, wie das Ministerium auf Background-Anfrage mitteilte.

Viele große Industriekunden können nicht einfach wechseln.

Das BMWK will augenscheinlich mit der Verordnung ein Problem in der Ausgestaltung der Preisbremsengesetzen heilen: Wenn Unternehmen im vergangenen Jahr aus Sicht der Regierung zu teuer Gas eingekauft haben und dieses Jahr an diesen Preis gebunden sind, sollen sie nicht auch noch durch eine hohe Entlastungssumme belohnt werden.

Aus Sicht des BMWK sollen diese Unternehmen einen Anreiz haben, den Anbieter zu wechseln. So heißt es in einem BMWK-Papier, in dem das Vorhaben skizziert ist, entsprechend: „Ziel der Verordnung ist es, den Differenzbetrag für ausgewählte Kundengruppen derart zu begrenzen, dass bei Arbeitspreisen, die unverhältnismäßig hoch liegen, der Entlastungsanspruch reduziert wird und dadurch Letztverbraucher einen Anreiz haben, zu einem Anbieter mit niedrigeren Arbeitspreisen und marktüblichen Konditionen zu wechseln.“

Laut Dennis Becher ist die Begründung „hanebüchen“, da ein Industriekunde nicht einfach so den Energielieferanten wechseln kann. Im Gegensatz zu Tarifverträgen bei Privat- oder Gewerbekunden könnten sich sogenannte Sondervertragskunden – damit sind industrielle Großverbraucher gemeint – nicht kurzfristig in günstigere aktuelle Verträge „flüchten“, da sie in der vertraglichen Lieferperiode vollständig an die vereinbarten Preise gebunden sind. „Hat ein Unternehmen einen hohen vertraglichen Arbeitspreis, liegt das in der Regel an Terminmarktgeschäften, die es in der volatilen Hochpreisphase in den vergangenen Monaten getätigt hat. Es handelt sich bei den Terminmarktgeschäften um vertragliche Abnahmeverpflichtungen, denen sich Unternehmen nicht durch einen Anbieterwechsel entziehen können“, sagte Becher

Auch aus Sicht des DIHK ist es unverständlich, warum die Bundesregierung jetzt versuchen will, Betriebe zu einem Wechsel zu zwingen. Man müsse nur auf die momentane Ausgangslage schauen, sagte DIHK-Experte Bolay: „Die Preise für Strom und Gas sind glücklicherweise auf ein Niveau unterhalb der Bremsen gesunken. Jedes Unternehmen wäre also schlecht beraten, auf Wechselmöglichkeiten zu verzichten und damit Geld zu verschenken“. Wenn Betriebe nun nicht zu einem günstigeren Tarif wechseln, habe das mit bestehenden Lieferverträgen zu tun. Da sei die geplante Verordnung keine Lösung.

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