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Emissionshandel

Die industriefeindliche Umsetzung des nationalen Emissionshandels ist ein energiepolitischer Skandal.

15. Dez. 2020

Das Bundesministerium für Umwelt (BMU) hat am vergangenen Donnerstag die BEHG-Carbon-Leakage-Verordnung (BECV) vorgelegt, die am 16. Dezember vom Kabinett verabschiedet werden soll – gerade rechtzeitig vor dem Start des nationalen Emissionshandelssystems (nEHS) am 1. Januar 2021. Das 51-seitige Dokument lässt sich nach einer ersten Analyse so zusammenfassen: Viel zu spät für viel zu wenige Unternehmen, die kaum entlastet werden.

Dieser Beitrag ist in gekürzter Fassung am 15.12.2020 als Gastkommentar im energate messenger erschienen.

Die vom BMU vorgelegte Carbon-Leakage-Rechtsverordnung zum Brennstoffemissionshandelsgesetz (BEHG) ist ein energie- und umweltpolitischer Skandal. Allein der Zeitplan mit der Verabschiedung entscheidender Rechtsverordnungen wenige Tage vor dem Start des nEHS ist eine Provokation. Die inhaltliche Kritik wiegt jedoch schwerer: Das BMU hat alle Sachargumente, die nach dem der BECV zugrundeliegenden Eckpunktepapier im September auch von enplify vorgebracht worden sind, in den Wind geschlagen und eine maximal industriefeindliche Carbon-Leakage-(CL)-Regelung vorgelegt. Die Regelung kommt nicht nur viel zu spät, sie erfasst auch viel zu wenige Unternehmen und „zu guter Letzt“ kommt am Ende aufgrund eines spitzfindigen Kompensationsmechanismus kaum Entlastung bei den Unternehmen an.

Die nationale Perspektive fehlt: Welche Branchen sollen geschützt werden?

Die BECV erfasst nur wenige der vom BEHG betroffenen Unternehmen, von denen die allermeisten mangels technologischer und wirtschaftlicher Alternativen zwingend auf den Einsatz von Erdgas angewiesen sind. Die 1:1-Übernahme der CL-Sektoren aus dem europäischen Emissionshandel (EU-EHS) ist erst recht nach dem Beschluss der EU-Kommission, ab 2021 nur noch rund 30% der aktuellen Sektoren vom CL-Schutz profitieren zu lassen, der falsche Ansatz. Der europäische CL-Schutz will die Abwanderung der Industrie aus Europa und nicht aus Deutschland verhindern. Aus welchen Gründen auch immer sieht die EU-Kommission hier immer weniger Sektoren bedroht und hat unter anderem die für Deutschland wichtigen Branchen Automotive sowie Maschinenbau und damit einen großen Teil des Mittelstandes, der nicht ohne Grund als Motor der deutschen Wirtschaft bezeichnet wird, aus der europäischen Regelung ausgeschlossen. Wenn die Bundesregierung einen wirksamen CL-Schutz im nEHS einführen wollte, müsste sie folgerichtig die aus nationaler Perspektive bedrohten Branchen in die Regelung aufnehmen. Dass sie stattdessen einfach die Sektoren aus der europäischen CL-Regelung übernimmt, ist der Geburtsfehler der BECV. Eine solche Politik schadet dem Wirtschaftsstandort Deutschland. Dem Klima wird nicht geholfen, wenn künftig die gleichen Emissionen in Polen oder Tschechien statt hierzulande ausgestoßen werden. Dies kann auch nicht das Ziel der europäischen „Effort Sharing Decision“ sein, nach der Deutschland bei der Erreichung der EU-Klimaschutzziele die Hauptlast trägt.

Hohe Hürden für die Aufnahme weiterer Sektoren in die nationale CL-Liste.

Das BMU bagatellisiert den nationalen CO2-Preis, indem es die Preise bei jeder Gelegenheit als „moderat“ bezeichnet, obwohl energieintensive Unternehmen ab dem kommenden Jahr je nach Brennstoffausstoß sechs- oder siebenstellige Zusatzkosten verkraften müssen, während über die nur minimal gesenkte EEG-Umlage kaum Kompensation über die Stromkosten ankommt. Wir haben angesichts dieser Grundhaltung wenig Hoffnung, dass das BMU kurzfristig weitere Sektoren in die nationale CL-Regelung aufnimmt, obwohl dies gerade während der Corona-Krise dringend erforderlich wäre. Für die Aufnahme weiterer Sektoren hat das BMU in der BECV im Übrigen sehr hohe Hürden errichtet, über die im nächsten Jahr kaum weitere Sektoren springen werden.

Klimaschutz-Investitionen mitten in der Corona-Krise sollen nachträglich bezuschusst werden.

Das BMU hat in die BECV einen spitzfindigen Entlastungsmechanismus eingebaut, der im Ergebnis dazu führen wird, dass kaum nennenswerte Beträge bei den eh nur wenigen privilegierten Unternehmen ankommen werden. Es fängt schon damit an, dass grundsätzlich nur ein nachträglicher Investitionszuschuss gewährt werden soll. Um den Klimaschutz zu fördern, sollen die berechtigten Unternehmen 80% des Beihilfebetrages im Jahr der CO2-Preisbelastung für umweltfreundliche Investitionen aufwenden. Die Unternehmen sollen demnach mitten in der Corona-Krise die notwendigen Investitionen finanzieren, um im Folgejahr eine Kompensation zu erhalten, deren Höhe das BMU nicht verbindlich zusagen kann. Denn sollten die BEHG-Einnahmen geringer als vom BMU erwartet ausfallen, würden die „Investitionsnachschüsse“ laut Verordnung anteilig gekürzt – eine realitätsfremde Erwartungshaltung der BMU-Beamten.

Unternehmen müssen mindestens dreimal mehr Erdgas als Strom verbrauchen, um von der CL-Regelung profitieren zu können.

Noch absurder sind die Anforderungen, die das BMU an die Privilegierung selbst knüpft. Die Kompensation für Belastungen aus dem BEHG sollen mit der Subventionierung des EEG-Umlagekontos aus den BEHG-Einnahmen verrechnet werden. In den maximal komplexen Entlastungsmechanismus der CL-Verordnung, der ein neues aufwendiges und teures Antragsverfahren mit Testierung durch einen Wirtschaftsprüfer zur Folge haben wird, hat das BMU einen Verrechnungsansatz eingebaut, der eine bereits erfolgte Entlastung über eine vermeintliche Senkung der EEG-Umlage unterstellt. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass die geplanten BEHG-Einnahmen von 4,7 Mrd. € vom Staat auf das EEG-Konto eingezahlt werden sollen. Diese Einnahmen entsprechen umgerechnet einer Senkung der EEG-Umlage um 13,70 €/MWh, die jedoch gar nicht bei den Stromverbrauchern ankommt. Da das EEG-Konto im Wesentlichen durch Corona-Effekte ein Milliarden-Defizit aufweist, muss die Bundesregierung über die BEHG-Einnahmen hinaus weitere Milliarden zuschießen, um die EEG-Umlage 2021 bei 65 €/MWh zu deckeln, was einer kaum merklichen Senkung um 3,8 Prozent gegenüber 2020 entspricht.

Der Zusammenhang mit der EEG-Umlage führt dazu, dass ein Unternehmen mindestens dreimal so viel Erdgas wie Strom verbrauchen muss, um überhaupt einen Investitionszuschuss über die CL-Regelung erhalten zu können. Wieder anders sieht es bei Unternehmen aus, die die Besondere Ausgleichsregelung in Anspruch nehmen – ein weiteres Beispiel für den unausgegorenen BMU-Vorschlag.

Rückkehr zu einer seriösen Energie- und Umweltpolitik dringend geboten.

Angesichts der industriefeindlichen Einführung des nationalen CO2-Preises müssen energieintensive Unternehmen den Eindruck bekommen, dass sie nicht länger in Deutschland willkommen sind. Die Bundeskanzlerin, der Bundeswirtschaftsminister und die CDU/CSU-Bundestagsfraktion sind nun dringend gefordert, den von der Bundesumweltministerin forcierten Beschluss dieser Carbon-Leakage-Rechtsverordnung zu verhindern. Es ist ein offenkundiger Widerspruch, in der Corona-Krise Unternehmen mit Soforthilfen und Krediten in Milliardenhöhe zu retten, um ihnen diese Liquidität anschließend über den CO2-Preis wieder zu entziehen. Die Große Koalition sollte dringend zu einer seriösen Energie- und Umweltpolitik zurückkehren, die Einführung des nationalen Emissionshandels um ein Jahr verschieben und die Zeit nutzen, um ein für die ganze Gesellschaft wichtiges Projekt mit der gebotenen Sorgfalt umzusetzen. Klimaschutz muss ernsthaft betrieben werden, darf allerdings nicht zur Deindustrialisierung im Windschatten der Corona-Krise führen.

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